Reklame*
Ich bin nicht der Mensch, der verklärt zurückblickt. Es liegt doch noch so viel Aufregendes vor mir. Natürlich gibt es da einige besonders glückliche Wochen und in denen ganz besonderes Tage voller Glück, die einem immer wieder einfallen.
Weil man gefragt wird, weil man einfach gerne mal diese wundervollen Erinnerungen aus dem Speicher hochlädt oder weil man gerade in einem Tief hockt und sie einem wieder raus helfen.
Mein Tief hat einen Namen, es heißt jedes Jahr NOVEMBER. Es ist trist, kalt, dunkel und nix los.
Aber es gab da mal diesen einen November 1989 – an dem sich mein Leben änderte. Nicht nur meins, das Leben in ganz Deutschland hat sich am 09.11.1989 geändert.
Es sollte noch ein ganzes Jahr dauern, ehe ich dann endlich den Traum wahr machte, den ich seit Schulmädchentagen träumte. Ich wollte einmal nach Paris! Das war jahrzehntelang undenkbar und ich hoffte, als Rentnerin mal eine Reise ins NSW (Nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet) zu machen. Zum Glück kam alles anders.
So stieg ich eines Novemberabends 1990 am Berliner ZOB in einen grünen HOLIDAY Reisebus, trank ein Bier und schlief ein, bis der Bus morgens um 4 an einer französischen Autobahnraststätte stoppte. Der Fahrer scheuchte alle Insassen aus dem Bus, denn er musste seine Pausenzeiten einhalten und wir hockten in einem unwirtlichen Saal mit heller Neonbeleuchtung und ich in heller Aufregung. Meine wenigen France waren mir zu schade für heißen französischen Kakao (Kaffe trank ich damals noch gar nicht), ausserdem hatte ich H-Milch und reichlich Klappstullen (Vollkornbrot mit Philadelphia) dabei.
Zurück im schaukelnden Bus pennte ich sofort wieder ein und wachte erst in Paris wieder auf. Wir kamen über den Süden in die Stadt, unsere Endhaltestelle war die Metro Porte d’Orléans im 14. Also jetzt nichts, was mich heute verzaubern würde. Damals warf ich meinen allerersten Blick auf die eleganten Fassaden und die gusseisernen Balkone und wusste, dass ich mit Paris in 10 Stunden nicht fertig werden würde.
Bevor der Busfahrer gegen 9:00 Uhr morgens die Türen öffente, bat er darum, dass sich die Leute bei ihm melden, die nach 10 Stunden (ich hatte ja für 60 DM nur einen günstigen Tagesausflug nach Paris gebucht) nicht wieder mit zurück nach Berlin kommen werden.
Ich melde mich also ab. Der Fahrer fragte mich: „Was willst Du in Paris?“ Meine Antwort: „Was soll ich in Deinem Bus?“ und betrat die Stadt. Im Gepäck – ich trug einen schwarzen EATSPAK Rucksack – hatte ich noch ein Paar Klappstullen, einen Falk Stadtplan und einen Spartacus Reiseführer meines Freundes Kalli. Der erklärte mir im Vorfeld, dass ich in einem schwulen Hotel gut aufgehoben wäre.
Mein Ziel war Porte Maillot, die Metrostation. Mir war allerdings noch nicht ganz klar, wie ich das machen sollte. Im Französischunterricht meiner Polytechnischen Oberschule „Rosa-Luxemburg“ in Stralsund hatte ich gelernt, dass man in Paris keine Einzelfahrscheine kauft, sondern immer gleich ein Carnet. Gerade frage ich mich, woher die ostzonalen Französischbuchautoren denn eigentlich ihre Weisheiten hatten? Egal!
Ich riss mir ein paar France aus der Seele und kaufte 10 Fahrscheine und ging in den Untergrund. Es war warm und roch fremd aber gut. Ich sog jeden Eindruck auf! Weiße Fliesen, blaue Emailleschilder und riesengroße Werbeplakate. Unter einem Plakat mit einer Konzertankündigung pennte ein Chlochard. Sonst waren weit und breit keine Menschen zu sehen. Also habe ich den Typ an der Schulter wachgerüttelt und gefragt, wie ich zu meinem Ziel komme.
Er hab mir artig Auskunft: ich solle bis Châtelet fahren und von dort die Linie 1 nehmen. Wer schon mal an der Station Châtelet die Bahn gewechselt hat, weiß, was einen da erwartet. Dort treffen 5 Metrolinien aufeinander – aber davon wusste ich nix – woher denn auch. War aber mächtig erschrocken und auch ziemlich beeindruckt. Von den endlosen unterirdischen Gängen und von dem Treppauf und Treppab der wuselnden Menschenmassen, die alle viel schneller waren als ich. Und das will was heissen, denn ich komme aus Berlin und habe lange Beine! Es heißt, die Pariser meiden diese Station. Das war an dem Morgen wohl gerade nicht der Fall.
Ich erwische meine Bahn in die richtige Richtung und kam im Palais des Congrès an. Trocken, warm und hell. Ich suchte eine Toilette und fand ein sauberes WC mit einem Extraraum; es gab große Spiegel, Ablagen und Hocker. Mit Schminke hatte ich es aber damals auch noch nicht. Trotzdem kam ich aus dem Staunen nicht heraus: So ear das also in Paris!
Dieser Tag ist trotzdem nicht gerade der, den ich mir als Murmeltiertag aussuchen würde. Aber ich würde mich sehr gerne mit den Augen und dem Wissen von heute damals beobachten und mir hinterhergehen.
Ich trug schwarze Lackschuhe, eine schwarze Levi’s 501, ein schwarzes Seidenhemd, eine blaue Levi’s Jeansjacke, roten Nagellack, eine schwarze kleine CASIO Uhr aus Plaste und einen schwarz-weißen Schal mit Animal-Print.
Der war aus 100% Erdöl, bzw. ist er es noch, denn natürlich ist er mit mir durch alle Irrungen und Wirrungen gegangen und liegt in meiner Tücherschublade.
Paris hat er aber lange nicht mehr gesehen – ich übrigens auch nicht! Das macht aber nichts, denn die nächste Reise ist schon geplant. Am nächsten Samstag ist es soweit: Ich fahre erst nach Berlin und dann gleich weiter nach Paris! Es wird eine Zeitreise in einem Kinosessel.
Kinostart:
28. November 2019 im Verleih der Constantin Film
© 2019 Constantin Film Verleih GmbH
Unter uns: Ich finde Zeitreisen noch eine schönere Vorstellung als die der immer wiederkehrenden Murmeltiertage. Und wenn Du auch mal nach Paris reisen möchtest, dann schaue einfach in den nächsten Tagen nochmal hier vorbei, da gibt es nämlich ein Gewinnspiel!
Wenn Du die Wahl hättest, in welche Zeit würdest Du reisen und wohin?
*In Kooperation mit CONSTANTIN FILM
🙂 Liebe Bärbel,
das ist eine schöne Erinnerung!
Bei meiner ersten Paris-Reise bin ich auch an irgendeiner Gare aufgehalten worden. Mir war bis dahin nicht klar, dass viele Franzosen kein englisch sprechen (wollen).
Zeitreise? Nein. Ich fühle mich im Hier und Jetzt recht wohl.
Liebe Grüße
Claudia 🙂
Liebe April, danke für Deinen Kommentar und deine Paris Geschichte. Ich bin ja das Wochenende danach gleich wieder hingefahren. Hin mit einer Mitfahrgelegenheit und zurück geflogen. Das ist auch eine Geschichte, die noch aufgeschrieben werde muss.
Als ich 100x in Paris war, habe ich aufgehört zu zählen, aber nicht aufgehört hinzufahren. Also fehlen mir Stockholm, London, Kopenhagen, Lissabon und Bacelona in meiner Reise-Löffel-Liste…aber das stört mich nicht!
Von Rom hatte ich keine Ahnung, war erst 2007 zum Valentinstag dort und dann aber ganz mächtig beeindruckt. An jeder Ecke entdeckt man zufällig eine Sehenswürdigkeit, die man „kennt“. Und übrigens: ich wäre wohl gerne Cleopatra gewesen 🙂 schon alleine wegen der Baderituale!
Liebe Grüße
Liebe Bärbel,
dein erster Besuch in Paris ist fast wie meiner – ebenfalls 1990, mit einem Übernacht-Billigbus-Angebot (das neue wertvolle „Westgeld“ musste schließlich zusammengehalten werden) allerdings mit dem Unterschied, dass ich am Abend brav wieder in die Chaise eingestiegen bin. Voller atemberaubender Eindrücke, mit dem festen Vorsatz, bald wiederzukommen, was dann bis 2016 gedauert hat… naja, es gab ja noch so viele andere Orte zu entdecken, von denen wir nur träumen gekonnt hatten. Ich erinnere mich gern an diese meine ersten Kontakte mit der großen Welt, denn sie hatten einen ganz besonderen Zauber, der unvergeichlich ist.
Inzwischen habe ich viele schöne Städte besucht (noch nicht alle, die ich gern sehen möchte) aber Paris war die erste und meine Sehnsuchtsstadt, als ich noch nicht überall wo ich hinwollte reisen durfte.
Als Kind habe ich mir oft vorgestellt, ich würde in der Zeit reisen, ich mochte Geschichte und wäre gern bei vielen Ereignissen, in vielen Epochen dabei gewesen. Vermutlich auch eine Art Eskapismus aus der zu engen DDR. Später habe ich alles realistischer gesehen und keine Ambitionen mehr für Mittelalter oder sonstige Zeiten der schweren Kleider und mangelnden Hygiene entwickelt. Obwohl… das alte Rom in seiner Blütezeit wäre schon eine Reise wert, in die Thermen und Villen – aber nur als reiche, unabhängige Römerin! LG!
Das klingt alles ziemlich dramatisch, was Du damals in Paris erlebt hast! Danke liebe Traude für Deine Paris-Geschichte aus den 80ern. Damals habe ich noch Eiffeltürme aus der Zeitung ausgeschnitten und in mein Wunschheft geklebt. Unglaublich, was mir fehlte fehlte. Und gerade am Freitag hatte ich wieder eine Diskussion mit einer ehemals linientreuen Ost-Frau, die meinen damaligen Freiheitsdrang gar nicht verstehen konnte. „Wir hatten doch alles…“ Nein hatten wir nicht. Keine Bücher, keine Filme, keine Musik, keine Meinungs- und Reisefreiheit.
Bei Deiner Zeitreise wäre ich übrigens gerne dabei – alo wenn Du mich mitnimmst!
Liebste Grüße
Bärbel ☼
Châtelet! Da bin ich im Jahr 1981 viele Stunden lang auf einer Bank gesessen und habe auf meine Freundin gewartet! Am Bastilletag! Ein Horror! Wir sind auf einen Trickbetrüger reingefallen und ich fand meine Freundin erst einen Tag später per Zufall bei der Infostation am Gare du Nord wieder. Das ist defnitiv auch kein Murmeltiertag. Aber deine Paris-Erinnerungen zu teilen hat mir sehr gut gefallen.
Beim Zeitreisen würde ich einen Tag wählen, an dem Oskar Werner im Wiener Burgtheater den Hamlet gab – er soll sensationell gewesen sein…
Herzliche Rostrosengrüße und eine schöne Adventzeit!
Traude
https://rostrose.blogspot.com/2019/11/spaziergange-im-november-und-ein-paar.html