Anziehsachen – ein Wort aus der Kindheit. Es klingt heute sehr antiquiert und damals war es mir urvertraut. Mutti legte uns abends die Sachen auf einen Stuhl: Hemdchen, Schlüpper, Pullover, Rock oder Hose. Wenn Rock, dann auch Strumpfhose. Aus Selastik – der klangvolle Name einer DDR-Kunstfaser. Die Strumpfhosen waren rot, oft mit Muster oder sie waren schrecklich grün oder braun. Sie waren einfach immer gruselig. Die aus Plaste kratzten, die aus Baumwolle leierten fürchterlich aus. Schon nach der ersten Schulstunde beulten die Knie. Jammern half nicht. Obendrüber kam ein Anorak. Die Ärmelbündchen wurden auch mal angestrickt, wenn meine langen Affenarme wieder zu schnell gewachsen waren für das Vorjahresmodell.
Bluse: Jean Paul Gaultier
Lederrock: MONA
Brille: Ray Ban Wayfarer
Zur Jugendweihe nahm meine Mutter mich mit in ein Geschäft für DOB – ich war also plötzlich richtig erwachsen, jetzt gab es für mich erstmals Damenoberbekleidung. Ich bekam eine Bluse. Aus Dederon. Mit großen geschwungenen Kragenecken. Fast so toll, wie die im OTTO Katalog, der war damals meine Modebibel und das Ende meiner Fahnenstange. Ich war glücklich – der weissen Bluse wegen!
Dann kam die Unizeit und um Klamotten machte man sich keine Rübe. Alle wollten gleich aussehen und trugen eine Jeans aus dem Westen, ein Hemd oder (gefärbtes) Unterhemd vom Vater oder ein T-Shirt und darüber trug man Parka. Shell oder Schimanski, was gerade greifbar war im Ostberlin Ende der 80er. Bloß nichts aus der Jugendmode. Denn diese Fummel erkannte man 3 km gegen den Wind.
Als Familie ohne westlichen Carepakete war man ziemlich aufgeschmissen. Hatte ich mal „Westgeld“, so gab ich es für Schallplatten aus. Die höre ich heute noch mit Freuden. Ich war jedenfalls immer happy, wenn ich in dem „Jugendmode“ Kaufhaus SONNIDEE in der Brüderstrasse in Mitte ein besonderes Stück entdeckte. Einmal kaufte ich eine Latzhose, in orange und hieß dann in der Fakultät nur noch Minol Pirol, weil die Herren an den (Minol) Tankstellen angeblich auch solche Hosen trugen *pffffff*
Einen Parka bekam ich damals leider nicht, aber ich trug stolz den abgelegten Fischgrät Mantel meines Großvaters. Und ich fand mich damit sehr cool. Auf dem Passbild für meinen ersten Reisepass sieht man noch ein Stück des Mantels. Ich zog den quasi nie aus, auch wenn ich sehr unförmig und schlunzig darin aussah. Das war doch so egal. Hauptsache anders als die anderen.
Inzwischen trage ich sehr viele mainstreamige Sachen. Gerne gemischt mit ausgefallenen Stücken, denn ich habe auch mit Ü50 immer noch Lust auf Mode und sehr viel Spaß daran. Und manchmal gerade dann, wenn mir Schatzi, der beste Freund und meine persönliche Modeberaterin davon abraten.
Stiefel: Maison Martin Margiela für H+M
OOTD
Das ist das Schlagwort.
Das belebt meinen Blog.
Davon leben auch einige Blogger und sie inspirieren andere.
Mich zum Beispiel.
Ich lese (etwas unregelmäßig aber mit Freude) den Blog von Palina und dort sah ich zum ersten Mal die Sachen von Vetements. Ich war sofort hin und weg!
Das ist ganz neu – oder vielleicht doch nicht? Vieles erinnert mich sehr an Jean-Paul Gaultier und Martin Margiela. Die ich beide sehr mag. Und die alle beide eine zeitlang für die Hermès Kollektion verantwortlich zeichneten.
Hermès ist ja eher klassisch und auch diese Marke liebe ich sehr, weil die Materialien einfach unvergleichlich ausgesucht sind und die Handarbeit noch groß geschrieben wird!
Vetements dagegen mixt nun jung und frech die Stile. Schneidet auseinander und näht neu zusammen oder verknotet statt zu nähen. Läßt einen Ärmel weg und fügt ihn an anderer Stelle wieder an. Schneidert Dinge überraschend neu. Wild, modern, provozierend anders.
Es gibt ein gelbes T-Shirt mit einem DHL Aufdruck. Reichlich groß und richtig lang. Ich finde es cool. Also richtig genial. Abgefahren, lustig und hätte es gerne. Es ist aber weltweit ausverkauft. Manche finden es albern, zu albern – überhaupt und erst recht in meinem Alter *harharhar* und andere glotzen ausschließlich auf den Preis und verdrehen dann die Augen. Sollen sie doch!(weiter ihre Zara Sachen tragen)
Hallo, Leute – Mode ist doch auch nur ein Spaß. Ja, vielleicht mitunter ein teurer Spaß. Na und? Ich habe gerne Spaß und lebe nur einmal. Ich glaube nicht, dass ich nochmal wiederkomme und wenn, dann als einsamer Wolf irgendwo in Sibirien. Ohne Kontakt zu Menschen. Dann kann ich immer Pelz tragen und Fleisch fressen.
Im Blog der flippigen Palina sah ich eines Tages wieder etwas aus der Kollektion. Ein tolles großes Sweat-Shirt. Ich machte mir einen Screenshot und ging online auf die Jagd. Nix zu finden! Oder dermaßen überteuert bei Gier-Bäh, dass sogar mir der Spaß verging. Sehr schön fand ich auch Palinas Hinweis an andere Bloggerinnen, die plötzlich eine Jeans zackig abschnitten. Nein, das reicht nicht, echte Sachen von Vetements erkennt man!
Aber man bekommt es kaum. Googeln ist auch schwierig, da VETEMENTS übersetzt einfach BEKLEIDUNG heißt. Also bleiben nur die einschlägigen Online-Shops, die auch nach Deutschland liefern.
Als ich kurz vor Ostern überraschend in Avignon war, hatten wir am letzten Tag noch Zeit, in die 3 Läden zu gehen, die man dort einfach gesehen haben muss. Und ich fragte nach VETEMENTS, bekam ein Nicken und wurde zwei Türen weiter geschickt…
…dort verliebte mich in ein schwarzes asymmetrisches Kleid. Was soll ich sagen? Erst siegte die Vernunft und dann doch wieder nicht. Es wurde ein Mantel – mein neuer Regenmantel, den ich hier durch den Berliner Sonnenschein trage.
Natürlich haben der Ladenbesitzer, der Verkäufer und die Änderungsschneiderin mir zugeredet und mir immerzu Komplimente gemacht. Der Verkäufer sagte, er würde sich diesen Mantel so gerne kaufen, aber er sei zu kurz dafür.
Andererseits wurde ich von meiner gesamten Reisegruppe (die es ehrlich mit mir meint) bedrängt, ihn hängen zu lassen. Wann würde ich den denn mal tragen?
Ich sagte: „Bestimmungsgemäß im Berliner Regen!“
Nächster Einwand: „Und was ist mit dem Schriftzug POLIZEI auf dem Rücken?
Ich: „Was soll damit sein? Der stört mich nicht, ich sehe den ja nicht!“
Weiterer Einwand: „Ist das nicht verboten?“
Icke: „Woher soll ich das wissen, ich werde es klären…“
Und ab ging es zur Kasse – ich bin hier zum einkaufen, nicht zum diskutieren.
Wieder in Berlin latsche ich (ohne den Mantel) und wieder im Sonnenschein durch die Joachimsthaler Strasse. Da ist eine Polizeistation. Davor standen zwei Polizisten und eine Polizistin und rauchten. Die Frau ist jung, zierlich, blodgesträhnt – ich spreche sie an:
„Ähhhmtschulligung – sie haben da so einen Schriftzug auf dem Rücken. Ist es eigentlich verboten, einen Mantel zu tragen, auf dem in dieser Schriftart POLIZEI steht?“
SIE: „Das ist ja mal eine gute Frage, ich weiß es nicht!“
OK – ich weiß es auch noch immer nicht, werde es aber irgendwann erfahren. Schätzungsweise beim nächsten großen Regen!
Und weil ich meinen neuen Mantel so schräg finde – Länge – Schnitt und Schrift – und ich dazu eine Polizei Pilotenbrille trage, landet er heute bei Sunny, weil es bei ihr wieder um Kopf und Kragen geht und ich – nein, es geht mir nicht an den Kragen, sondern an den Kopf, denn der Mantel hat auch eine Kapuze – mal wieder dabei sein möchte.
Und natürlich muss dieser Mantel unbedingt zu Ines, die in der Aktion MODEJAHR 2016 im April unter dem Stichwort OUTING hoffentlich genau solche Anziehsachen wie diesen ausgefallenen Fummel sehen will.
So, das Flintenweib hat FERTIG für heute!
NOCH NICHT GANZ! Gerade wurde ich bei Facebook auf einen Artikel aufmerksam gemacht und jetzt weiß ich, was mir im nächsten Regen blüht 😀