Hermes hat nach Hamburg eingeladen, um die Leute hinter den Produkten mit ihrer Arbeit und ihrer Kunstfertigkeit in den Mittelpunkt zu rücken. Festival des Métiers, Festival der Handwerkskunst – und das ist es, im ganz ursprünglichen Wortsinn: Handwerk und Kunst treffen sich hier. Die Lokation kannte ich nicht, das Hamburg Museum am Holstenwall 24. Wir fanden einen Parkplatz fast vor der Tür, gut so, denn das Hamburger Wetter zeigt sich schon seit Tagen von seiner naßkalten Seite. Jetzt sitze ich im Zug nach Berlin und die Morgensonne knallt mir hell ins Gesicht. Gut so, da werde ich richtig wach und kann meine Erlebnisse von gestern Abend gleich ins iPad tippen.
Mit der Näherin, die uns zeigte, wie sie eine Krawatte herstellt, Spitzen nähen, Einlage rein, Symmetrie kontrollieren, falten, Symmetrie kontrollieren, Faden abmessen und dann die besonderen Knoten: ein 20 x umwickelter Steg zum Start und im Inneren gibt es eine Schlaufe, um die Krawatte, falls sie einmal krumpelig wird, wieder zu straffen…ich hatte ja keine Ahnung. Natürlich wird alles nur mit einem Faden genäht, da gibt es kein absetzen und anknoten, es ist immer der typische hermesorange Faden. Immer wieder wird geschaut, ob alles symmetrisch ist, das Logo im Inneren, die Stiche, die Schlaufen – sie näht maschinengleich, präzise, kontinuierlich, aber mit ihren Händen. Wer denkt daran, wenn er im Laden vor 100 Krawatten steht? Ich ja, aber erst jetzt, wo ich sah, wie es geht. Die Krawatten sind 150 cm lang, manchmal gibt es auch kürzere, aber nie unter 146 cm und die Breite variiert mit der Mode. Die Muster sind fast immer kleine Motive, manchmal auch lustig und verspielt und erst auf den zweiten Blick erkennbar.
Am nächsten Stand schaue ich lange einem Herren zu, der Handschuhe herstellt. Zuerst bearbeitet er das weiche Leder, er zieht es in beide Richtungen über die Tischkante, quer bis ans Ende der Elastizität, damit die Handschuhe nicht weiter ausleiern können, längs bleibt das Material elastisch, damit man die Finger beugen kann. Es sieht schon grob aus und er wendet Kraft an, um das Leder vorzubereiten, es kann auch passieren, dass eine Haut dabei reisst – ratsch – schon passiert: das Stück Haut liegt vor mir und ich begrabbel ununterbrochen dieses herrlich weiche Fetzchen – meine Finger können gar nicht anders.
Ein paar fertige Exemplare sind ausgestellt, ich bin schwer verliebt in einen Handschuh, der auf der Oberseite mattes Krokoleder hat. Ein Traum, für Augen, Nase und Tastsinn! Oh ja, sogar dieser eine hier würde mir reichen, es ist genau meine Größe, Paare werden eh überschätzt, für die andere Hand hätte ich einen gelben selber Marke, auch mit Aussennähten 🙂
Gegenüber arbeitet ein junges Mädchen – vielleicht kommt sie aus der Schweiz? Ich habe gar nicht nachgefragt, sondern auch ihr nur fasziniert auf die Hände geschaut. Sie zerlegt vor unseren Augen ein Uhrwerk um es danach wieder zusammenzubauen. Hermès hat jetzt endlich eine eigene Herstellung für Uhrwerke und Zifferblätter in der Schweiz. Viele Nobelmarken verwenden ja Werke eines Herstellers (ETA), aber auch hier grenzt Hermès sich ab. Hach, eine solche Uhr hätte ich auch gerne: eine HEURE H oder eine CAPE COD – ich kann mich kaum entscheiden, muss ich auch nicht, an jedem Stand wird meine Wunschliste im Kopf ein Stück länger.
Nur an der nächsten Station weiss ich: nö, einen Sattel brauche ich nicht. Hier arbeitet auch eine ganz junge Frau. Den werktätigen Franzosen sind ÜbersetzerInnen in geringelten Shirts zur Seite gestellt, die geduldig und freundlich alle unsere Fragen an die Handwerkskünstler weitergeben. Ich möchte wissen, wie so ein junges Ding dazu kommt, bei Hermès Sättel zu fertigen. Die eigentlich naheliegende Antwort: Sie hat ein Pferd und sie reitet – also brauchte sie einen anständigen Sattel…nun macht sie den besten, den sie sich vorstellen kann. Sie erklärt uns den Unterbau aus Holz, Metall und breiten Spanngurten, den weiteren Aufbau der Polsterung, dann kommt die Lederauflage, natürlich Stich für Stich handgenäht. Ich möchte ihre Fingerkuppen sehen: alle sind weich und zart, sie zeigt mir ihren Fingerhut – eine kleine Manschette aus dickem Leder und sie erklärt mir, wie sie die verschiedenen Lederarten miteinander verbindet, die an der Schnittstelle zwischen Pferd und Reiter sehr hohen Belastungen und Kräften ausgesetzt sind.
Ein kleines (hier oranges) Lederband wird zum Beispiel nur eingearbeitet, damit die darunter liegende Naht nicht zu sehen ist. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und versuche, das auf den Fotos festzuhalten:
Plötzlich finde ich es schade, dass ich kein Pferd habe,
Ein Stand ist immerzu belagert, ich lasse ihn erstmal aus und werde später wieder vorbeischlendern… Der Abend ist noch lang. Das Catering (Die Bank) ist vorzüglich und ausreichend und der Service wieselflink und sehr freundlich – das fällt auf, in Berlin erlebt man das auch durchaus ganz anders.
In meiner Tücherschublade gibt es einige Hermès Seidentücher, von allen meinen Tüchern kenne ich die Namen, von einigen weiss ich, wer das Motiv entwarf, aber ich habe nie darüber nachgedacht, wieviel Arbeit es ist, die Idee auf ein Carré zu bringen. Eine Zeichnerin nimmt die Farben von der bunten Vorlage ab: Schritt für Schritt, Schicht für Schicht, Farbe für Farbe, Nuance für Nuance. Mit verschiedenen Werkzeugen: dicken Pinseln, Bleistiften, feinen Federn und einer kleinen Maschine (wie ein Minidremel) die kleinste Pünktchenlinien macht. Die Muster werden auf Pergament übertragen, dann auf Folie und nach diesen Folien werden die Schablonen für den Druck der Seidentücher gefertigt. Je nach Anzahl der Farben auf einem Tuch – bis zu 27 oder 33? Ich habe es vergessen – könnte jetzt nachlesen, aber möchte meinen „Redefluss“ erstmal nicht unterbrechen, denn jetzt kommen wir zu einer ganz spannenden Geschichte: der Herstellung der Seidentücher.
In einen „Schlitten“ wird die erste Druckplatte (mit Tuchnamen, Farbbezeichnung und Collectionsangabe – P/E 2014) eingespannt, diese Schablone hat kleine Ausschnitte, durch die die Farbe auf die Seide kommt. Der Herr gießt die erste Farbe auf den Rahmen und streicht mit einem großen Wischer (Mon Dieu, ich habe vergessen zu fragen, wie man dieses Werkzeug nennt) die Farbe durch die Aussparungen. 2 x bekommt ein Seidentuch diese Farbe – hin und her, dann wird der Rahmen mit der Schablone hochgeklappt und die erste Farbschicht ist auf dem Tuch. Derselbe Vorgang wird auf dem Seidenstück nebenan wiederholt.
Die verschiedenen Farben bei diesem blauen Tuch sind nur minimal unterschiedlich, die Schablonen auch: feinste Blattadern, Vogelschwingen, Insektenbeinchen, alles hat eine andere Farbe – wieder eine neue Schablone, eine neue Farbe, eine neue Schicht des Musters auf dem Tuch. Jetzt wird mir klar, wieso mir die Muster meiner Tücher oft so plastisch vorkommen: es ist dieses aufwendige Verfahren, diese Präzision, diese Liebe zum Detail, dieser Rausch der Farben, die bei Hermès in der Manufaktur wohltemperiert sind, damit sie auf der Seide schnell trocknen. Hier in der hohen Museumshalle sind keine optimalen Bedingungen, ausserdem fliegt jede Menge Staub etc. durch die Luft. Trotzdem sind wir begeistert und ich werde meine Tücher nun ganz anders achten! Für alle, die den Preis für ein solches handwerkliches Kunstwerk in Frage stellen, sei empfohlen, sich eine Stunde Zeit zu nehmen und dem Meister bei seiner wundervollen Arbeit zuzusehen.
Könnt Ihr Euch an den Spruch meiner Freundin erinnern, die sagte: „Hast Du ein Tuch, passt es immer…“ als ich mal vor einer Auswahl stand und ein Tuch in Sepia kaufen wollte, sprach sie: „Nimm lieber das Bunte, da hast Du mehr Farben und es kostet genausoviel!“ Das verstehe ich jetzt viel besser, natürlich waren die Sepia Nuancen auch recht zahlreich, aber kein Vergleich zu einem bunten Tuch! Bunte Tücher waren viele zu bestaunen, nicht nur an den Besuchern, es gab einige Ständer mit 90er Seidentüchern – farblich sortiert, ich schwelgte sofort und lange in der pinken Abteilung:
Ich habe Euch HIER mein dreieckiges TIGRE ROYAL Tüchlein vorgestellt. Gestern konnte ich in aller Ruhe zusehen, wie der majestätische Tiger von Hand auf feinstem Porzellan landete. Auf dem Tisch standen kleine Näpfchen mit pulverisierten Farbpigmenten und einer Lösungsflüssigkeit und die Zeichnerin Christelle malte das Motiv mit ruhiger Hand auf.
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PS: Ich habe eine E-Mail von Hermes bekommen und darf daraus zitieren:
„Die Technik heißt übrigens „SABRAGE“, wo der zweite Kettenfaden
aufgeschnitten wird und dadurch dieser samtene Flor auf der Seide entsteht.“
DANKE FÜR DIE INFO 🙂